Abwasser/Inzidenzen - Report

Abwassermessungen und Covid-Inzidenz - Beispiele


Das Pandemiegeschehen spiegelt sich einerseits in den offiziellen Testzahlen (Inzidenz) wider, andererseits lässt es sich auch anhand von Abwassermessungen abbilden. Um den Zusammenhang zu illustrieren, sind hier einige beispielhafte Verlaufsgrafiken für ausgewählte Abwasseranlagen zu finden.

Dargestellt werden der Verlauf der:

  • abwasserbezogenen Messungen (linke Achse) und zum Vergleich
  • die 14-Tages-Inzidenz (rechte Achse).

Abwasserbezogene Messungen:
Für die Darstellung und Modellierung der Abwasserwerte wird die Virusfracht (= Gesamtmenge an Virenpartikeln im Zulauf der Kläranlage) in Mio. Genkopien pro Tag, auf einen sogenannten Populationsmarker bezogen. Dieser Populationsmarker dient zur Abschätzung von wie vielen Personen (Einwohnerwert = EW) die Ausscheidungen im Abwasser einer Kläranlage stammen. Dies ist insbesondere für Gemeinden mit hohem touristischen Bevölkerungsanteil bzw. mit hohem Pendelanteil von Relevanz. Als Populationsmarker gibt es mehrere traditionelle chemische Abwasserparameter (z.B. CSB oder Ammonium), die zu etwas unterschiedlichen Verläufen des Abwassersignals führen können.
Der resultierende Quotient stellt einen populationsbezogenen Virenbelastungswert im Abwasser dar. Dessen absolute Höhe ist sekundär, wesentlich ist vor allem seine relative Entwicklung.

Die Punkte in den Grafiken geben das Messergebnis einer Abwasserprobe für das jeweilige Datum an. Die Frequenz der Abwassermessungen unterscheidet sich zwischen den Anlagen. Die durchgezogene Linie zeigt die Modellvorhersagen (Glättung) für den Messzeitraum. Der farblich hinterlegte Korridor zeigt den statistischen Unsicherheitsbereich dieser Vorhersagen.

14-Tages-Inzidenz je Kläranlage:
Zur Berechnung der 14-Tages-Inzidenz für ein Kläranlagengebiet werden die gemeldeten positiven Fälle laut Epidemiologischen Meldesystem (EMS) in den an die Kläranlage angeschlossenen Gemeinden aggregiert. Die 14-Tages-Inzidenz ist die Summe an gemeldeten neuen Fällen in den letzten 14 Tagen und wird auf die Einwohnerzahl in den angeschlossenen Gemeinden bezogen (je 100 000 Einwohner). Die 14-Tages-Inzidenz für eine Kläranlage liegt täglich vor und ist orange eingefärbt.
Die strichlierten Linien zeigen immer den Beginn des bundesweiten Lockdowns an.

Anhand mehrerer ausgewählter Fallbeispiele lässt sich die Nutzung der Abwassermessungen und deren Interpretation illustrieren.

Beispiel Stadt Salzburg (Kläranlage Siggerwiesen):



Die schwarze Linie zeigt den geglätteten Verlauf des Abwassersignals. Dieses liegt normalerweise zeitlich vor den offiziellen Testergebnissen (Inzidenz), weil infizierte Personen bereits Viren ins Abwasser ausscheiden, bevor sie allfällige Symptome entwickeln. Die ausgeschiedenen Virenpartikel gelangen innerhalb von 24h zur Kläranlage. Infizierte Personen haben sich zudem meist erst nach dem Auftreten von Symptomen um einen Test bemüht, der dann mit zeitlicher Verzögerung durchgeführt wurde. Die Testergebnisse landeten dann auch erst etwas später in den offiziellen Datenbanken. Dieser zeitliche Vorsprung der abwasserbezogenen Messungen wird auch international im Schnitt auf eine Woche geschätzt.
Man sieht diesen zeitlichen Vorlauf sehr deutlich bei der Entwicklung der 2. Welle, die sich bereits im September abgezeichnete. Der sprunghafte Anstieg im Abwasser im Oktober 2020 zeigt sich in einer nahezu parallelen Entwicklung bei der 14-Tagesinzidenz.
Weiters ist die Trendumkehr durch den Lockdown Anfang November 2020 zuerst im Abwasser ersichtlich, und wiederum verzögert bei der Inzidenz. Zugleich ist ab Mitte Dezember der Effekt einer geänderten Teststrategie erkennbar, d.h. mit den sogenannten Massentests, Teststraßen etc. wurden mehr testpositive Fälle gefunden, die sich nicht in diesem Ausmaß im Abwasser erkennen ließen. Der erneute Anstieg Mitte Februar 2021 konnte im Abwasser wiederum früher vermerkt werden.

Die großen Vorteile der Pandemiebeobachtung durch das Abwasser liegen somit in:
  • Beobachtung der gesamten Population im Einzugsgebiet einer Kläranlage - im Gegensatz zur Stichprobe der getesteten Bevölkerung, die zur berühmten Dunkelziffer der tatsächlich infizierten Personen führt.
  • zeitliche Früherkennung.

Dennoch muss hier auch auf eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation hingewiesen werden. Die Abwassermessung ist durch Wechselhaftigkeit in der Virenkonzentration, in den Verdünnungen durch Regenereignisse sowie der Populationsmarker-Messungen gekennzeichnet. Dies führt zu einer Variabilität in den Messergebnissen, die sich deutlich dadurch abmildern lässt, dass die Probenfrequenz erhöht wird.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist das Auftreten von Virusmutationen mit höheren Virenbelastungen im Körper mit allfällig erhöhter Virenausscheidung ins Abwassersystem.


Beispiel Wien:
Mit der Hauptkläranlage Simmering haben wir den Sonderfall, dass eine Anlage ein ganzes, sehr bevölkerungsreiches Bundesland abdeckt. Hier war der Anstieg in der Inzidenz im Spätsommer 2020 zwar auch im Abwasser zu sehen, allerdings aufgrund der späteren dynamischen Entwicklung nicht so deutlich. Dennoch ist auch hier das sprunghafte Wachstum während der zweiten Welle früher und sehr deutlich im Abwassersignal zu beobachten. Wie im Bsp. von Salzburg erkennt man den verzögerten Bremseffekt des November-Lockdowns im Abwasser. Besonders auffallend ist der frühzeitige Anstieg im Abwassersignal bereits Mitte Jänner, wo die 14-Tages-Inzidenz noch rückläufig und deutlich verzögert ansteigend war.




Beispiel Stadt Graz (Kläranlage Gössendorf):
Bei dieser Kläranlage war in der 2. Jahreshälfte 2020 ein deutlich geringeres Probenaufkommen zu verzeichnen. Dies drückt sich durch die deutliche höhere Unsicherheit (grauer Korridor) des Glättungsmodells aus. Seit Jänner 2021 ist aber auch hier eine engmaschigere Probenziehung gegeben. Trotz der verringerten Datendichte lassen sich aber hier ebenfalls die bereits geschilderten Effekte finden: frühzeitiger Anstieg des Abwassersignals im Spätsommer, frühzeitige Trendumkehr, erhöhte Teststrategie seit Dezember sowie Wiederanstieg mit Februar 2020.




Beispiel Kläranlage Wörthersee-West (Kärnten):
Diese Anlage hat mit ca. 24 000 Personen ein kleineres Einzugsgebiet, aber durch Gemeinden wie Velden saisonal hohes touristisches Aufkommen. Die zeitlichen Verlaufsmuster sind sehr ähnlich zu den bereits geschilderten Beispielen. Auch hier erscheint wesentlich, dass sich die Trendumkehr beim Infektionsgeschehen mit Ende Jänner 2021 im Abwasser abzeichnete.




Aberi P, Arabzadeh R, Insam H, Markt R, Mayr M, Kreuzinger N, Rauch W. Quest for Optimal Regression Models in SARS-CoV-2 Wastewater Based Epidemiology.
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Arabzadeh R, Grünbacher DM, Insam H, Kreuzinger N, Markt R, Rauch W; Data filtering methods for SARS-CoV-2 wastewater surveillance.
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Markt R, Mayr M, Peer E, Wagner AO, Lackner N, Insam H. Detection and Stability of SARS-CoV-2 Fragments in Wastewater: Impact of Storage Temperature.
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doi: https://doi.org/10.3390/pathogens10091215

Rauch W, Arabzadeh R, Grünbacher D, Insam H, Markt R, Scheffknecht C, Kreuzinger N. Datenbehandlung in der SARS-CoV-2-Abwasserepidemiologie.
KA - Korrespondenz Abwasser, 68 (2021), 7; 547- 554.